Aktuell

Erfolgreiche Kooperation im Kinderschutz


Sexualisierte Gewalt an Kindern ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass in Deutschland etwa jedes fünfte Mädchen und jeder zehnte Junge im Laufe der Kindheit sexuellen Missbrauch erleidet. Hauptsächlich finden die Taten in Familie und Verwandtschaft statt oder dort, wo Erwachsene das Vertrauen eines Kindes und dessen Eltern ausnutzen. Neu ist das Thema keineswegs. Doch wie häufig und in welchen Kontexten sexualisierte Gewalt vorkommt, wird erst seit 2010 zunehmend Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte. Zu der Zeit wurden Missbrauchsskandale in verschiedenen großen und renommierten Institutionen aufgedeckt. Immer wieder haben seitdem deutschlandweit, aber auch im Südwesten, Missbrauchsfälle für Aufsehen gesorgt.

Setzen sich für den Kinderschutz ein (von links): SC Freiburg-Profi Nicolas Höfler, Nils Vogelsang und Kristin Hüls vom Verein Wendepunkt sowie Marco Petrucci von der Psychologischen Beratungsstelle des Landkreises.  Foto: Landratsamt Lörrach

Indes erlangen die wenigsten Fälle öffentliche Aufmerksamkeit. Viele betroffene Kinder schweigen aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder ihre Familie auseinandergerissen wird und sie daran schuld sind. Nicht selten führt das Schweigen auch als Erwachsener in die Isolation. Wie kann das verhindert werden?

„Hinschauen! statt wegsehen“ ist das Motto der Fachberatungsstelle Wendepunkt, die seit 1988 in Freiburg Menschen mit Missbrauchserfahrungen unterstützt und Eltern, Bezugspersonen und Fachkräfte berät. Die Sozialpädagoginnen und -pädagogen von Wendepunkt machen Betroffenen ein niedrigschwelliges Angebot. Sie stehen unter Schweigepflicht, hören zu und suchen mit Betroffenen nach Möglichkeiten, um die aus dem Missbrauch resultierenden Probleme anzugehen. „Oberstes Ziel ist der Schutz. Wenn dann sichergestellt ist, dass ein Kind keine Übergriffe mehr erleidet, können wir gemeinsam schauen: Wie geht es dir? Wo merkst du vielleicht, dass etwas anders ist als früher? Was brauchst du? Was wünschst du dir von deinem Umfeld? Und auch: Denkst du darüber nach, Anzeige zu erstatten?“, so Kristin Hüls von Wendepunkt.

Seit September 2020 gibt es eine Kooperation zwischen dem Landkreis Lörrach und Wendepunkt. Zwei Mitarbeitende von Wendepunkt bieten seitdem im Wechsel jeden Donnerstag zwischen 13 und 18 Uhr Beratungsgespräche in den Räumen der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Lörrach an. „Schon seit ein paar Jahren hatten wir immer mehr Beratungsanfragen von Menschen aus diesem Landkreis. Als dann in einem gemeinsamen Gespräch die Idee entstand, dass wir wöchentlich Beratung im Landkreis anbieten, waren wir sofort davon angetan“, so Wendepunkt-Geschäftsführer Nils Vogelsang, der im Wechsel mit Kristin Hüls die Präsenzzeiten in Lörrach anbietet.

Als die Planung der Zusammenarbeit schon in vollem Gange war, kam Corona, und mit Corona der Lockdown. „Normalerweise haben Kinder die Chance, sich in Notlagen immer noch an eine Lehrkraft, eine Schulsozialarbeiterin oder eine Betreuungskraft zu wenden. Täglich vertrauen in Deutschland Kinder solchen Fachkräften schwerwiegende Probleme an und erhalten daraufhin Unterstützung. Im Lockdown war das alles nicht mehr möglich“, sagt Marco Petrucci, Teamleiter der Erziehungsberatung in der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Landkreises Lörrach. Kinder in Not befanden sich plötzlich in völliger Isolation, vor allem Kinder, die zu Hause sexuellem Missbrauch ausgesetzt waren. In den folgenden Monaten stieg die Beratungsnachfrage bei Wendepunkt sprunghaft an. Als es dann mit den Präsenzzeiten in Lörrach losging, war auch hier die Nachfrage nach Terminen sofort groß. „Zwar hat unsere Psychologische Beratungsstelle auch selbst schon immer zum Thema Kinderschutz bei sexualisierter Gewalt beraten. In dieser Situation waren wir aber sehr froh über die Entlastung durch die Kolleginnen und Kollegen von Wendepunkt und auch über ihr spezialisiertes Fachwissen“, so Marco Petrucci.

Prominente Unterstützung erfährt die Fachstelle Wendepunkt von Nicolas Höfler, Mittelfeldspieler vom Sportclub Freiburg. „Ich finde diese Arbeit total wichtig. Der Gedanke, dass so vielen Kindern so etwas widerfährt, ist wirklich schwer auszuhalten. Gut, dass es das Beratungsangebot von Wendepunkt gibt – auch hier im Landkreis Lörrach. Ich kann Betroffene, Angehörige und Fachkräfte nur ermutigen, es in Anspruch zu nehmen. Und lieber einmal zu oft als einmal zu wenig“, so Höfler.

In den zwei Jahren wurde das Beratungsangebot von Wendepunkt in Lörrach intensiv genutzt. „Manchen genügt ein Gespräch. Andere kommen dreimal, wieder andere zehn- oder fünfzehnmal – je nach individuellem Bedarf“, so Kristin Hüls. Betroffene kämen eher mehrmals, Fachkräften und Bezugspersonen reichten oft ein oder zwei Gespräche. Die Kooperation wird auch im Jahr 2023 fortgesetzt.

Wendepunkt-Termine in den Räumen der Psychologischen Beratungsstelle in der Brombacher Straße 4 in Lörrach können vereinbart werden unter der Telefonnummer 07621 410-5353.