Pressemitteilung

Gelebte Mehrsprachigkeit


Gebannte Zuhörer beim Vortrag von Professor Argyro Panagiotopoulou im Werkraum Schöpflin zum Thema Sprachentwicklung bei mehrsprachigen KindernWenn beim Anblick einer Pusteblume ein freudiges „sopla-Blume!“ zu hören ist oder man zum Geburtstag ein „Happy Burtstag!“ gewünscht bekommt, handelt es sich um mehrsprachige Kinder in ihrer frühkindlichen Sprachentwicklung. Das Zulassen von Sprachvermischungen fördert die Entwicklung aller Sprachen, mit denen das Kind aufwächst – wie jüngste Forschungsergebnisse zeigen. Der Landkreis Lörrach setzt sich für diese Mehrsprachigkeit in der Kindheit ein und veranstaltete kürzlich einen Fachtag für 120 pädagogische Fachkräfte im Werkraum Schöpflin. Die Stabsstelle „Koordination in der Bildungsregion“ des Landratsamts Lörrach und die Bürgerstiftung Lörrach konnten dafür Professor Argyro Panagiotopoulou, Bildungsforscherin der Kölner Universität am Lehrstuhl für Bildung und Entwicklung in früher Kindheit, als Gastrednerin gewinnen.

„Die Realisierung einer inklusiven sprachlichen Bildung bedeutet, mono- und quersprachige Sprachpraktiken zu würdigen sowie alle Kinder als angehende Mehrsprachige anzuerkennen und sie bei ihrem natürlichen Sprachenerwerb zu unterstützen“ erklärte Panagiotopoulou. Kinder mit Migrationsstatus erleben die Kindertageseinrichtung allerdings oft als einen einsprachigen Bildungsort. Sprachentwicklung bedeutet jedoch auch immer Identitätsentwicklung. Deshalb darf eine weitere Sprache des Kindes – und damit ein Teil seiner Persönlichkeit – nicht einfach ausgeblendet werden. Bildungseinrichtungen werden daher aufgefordert, respektvoll mit den familialen Sprachwelten der Kinder umzugehen.

Wie das Potenzial der Mehrsprachigkeit für die frühkindliche Sprachentwicklung genutzt werden kann, stellte Panagiotopoulou mit dem Konzept "Translanguaging" vor. Translanguaging bedeutet Quersprachigkeit, also das Mischen von Sprachen. Es ist eine selbstverständliche Strategie von mehrsprachig Aufwachsenden. Sätze wie „Papa, guck mal, petaluda (griechisch=Schmetterling)!“ sollten also zugelassen werden, damit das Kind sich ausdrücken und mitteilen kann. Die Kinder erlernen mit der Zeit die Unterscheidung der Sprachen von alleine und passen sich der Sprache des Gesprächspartners und der Umgebung an. Es muss also nicht befürchtet werden, dass ein Kind – genügend sprachlicher Input vorausgesetzt – in der Kita nicht auch die Umgebungssprache Deutsch erlernt.

Zahlreiche Informationsstände gaben Anregungen für die Praxis im Berufsalltag und rundeten den Fachtag ab. Die „Sprach-Kitas“ der Region stellten Beispiele vor, wie Mehrsprachigkeit in den Kindertageseinrichtungen sichtbar und hörbar gemacht werden kann, welche Möglichkeiten es dort für alle Kinder gibt, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und wie Familien in die pädagogische Arbeit miteinbezogen werden können. So gestalten viele Kitas ihre Aushänge und Infobriefe in mehreren Sprachen; es werden in anderen Sprachen gezählt und Lieder gesungen, Eltern werden eingeladen, mit Kindern landestypische Gerichte zu kochen oder im Morgenkreis in ihrer Muttersprache vorzulesen. Durch das Vorlesen in anderen Sprachen lernen alle Kinder, dass es selbstverständlich ist, dass Menschen unterschiedliche Sprachen sprechen; das Vorgelesene hört sich zwar anders an, die Geschichte ist jedoch dieselbe.

Sprach-Kitas stärken mehrsprachige Kinder


Mit dem Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ stärkt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die alltagsintegrierte sprachliche Bildung, die inklusive Pädagogik sowie die Zusammenarbeit mit Familien in den Kitas. Der Bund stellt für das Programm im Zeitraum zwischen 2016 und 2020 Mittel im Umfang von bis zu einer Milliarde Euro zur Verfügung. Aus diesen Mitteln konnten bundesweit insgesamt rund 7.000 zusätzliche halbe Fachkraftstellen in Kitas und in der Fachberatung geschaffen werden. Davon fallen 14 neue Stellen auf den Landkreis Lörrach, darunter neun Fachkräfte allein für das Stadtgebiet Lörrach. Die Bürgerstiftung konnte mit den Geldern des Bundes ihre Stelle der „Fachberatung für Sprachförderung und interkulturelle Bildung“ um 50 auf 80 Prozent aufstocken.

Im Stadtgebiet Lörrach gibt es neun Sprach-Kitas: Guter Hirte, Kinderland, Montessori-Kinderhaus, Pestalozzi Kindergarten, Luise Scheppler Haus, Matthias Claudius Haus, St. Anna, St. Bonifatius und St. Peter. Weitere Sprach-Kitas in der Region befinden sich in Schopfheim (St. Josef), Weil am Rhein (St. Elisabeth) und in Rheinfelden (Villa Kunterbunt, St. Josef, St. Michael). Die Fachberatung für die Sprach-Kitas übernimmt die Bürgerstiftung Lörrach.

Die aufgeführten Sprach-Kitas werden durch das Sprach-Kita-Programm in den Handlungsfeldern „alltagsintegrierte sprachliche Bildung, Inklusion und Zusammenarbeit mit Familien“ weitergebildet und qualifiziert. Alle Sprach-Kitas haben einen hohen Anteil an Kindern, die zu Hause kein Deutsch sprechen oder mehrsprachig aufwachsen. Deshalb gilt es, in der Kita Mehrsprachigkeit aufzugreifen und zu würdigen.