Pressemitteilung

Für eine menschenwürdige Pflege


Ob Bettgitter, Gurte an den Handgelenken oder Fußmanschetten – täglich werden in deutschen Heimen alte und behinderte Menschen in Ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. „Fixieren“ nennt man das im Fachjargon. Auf der einen Seite dient es dem Schutz der meist dementen Patienten, da bei Ihnen die Gefahr groß ist, dass sie weglaufen oder sich ernsthafte Verletzungen bei Stürzen zuziehen. Auf der anderen Seite handelt es sich aber ebenso um schwere Eingriffe in die Würde des betroffenen Menschen. Dennoch ist es legale und verbreitete Praxis auch in der Altenpflege. Jetzt hat das Landratsamt Lörrach dazu eine Fachtagung unter dem Titel „Werdenfelser Weg statt freiheitsentziehender Maßnahmen“ veranstaltet. Fast 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Pflege- und Behinderteneinrichtungen nutzten das Treffen, um über freiheitsentziehende Maßnahmen in Altenpflege und Behindertenhilfe zu diskutieren und Lösungen für die Zukunft zu erörtern.
 
Dabei stand vor allem der titelgebende „Werdenfelser Weg“ als Modell für die Pflegeheime des Landkreises im Mittelpunkt des Interesses. Ziel dieses nach seinem Entstehungsort benannten Prinzips ist es, die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen drastisch zu reduzieren und möglichst zu vermeiden. „Steht eine Fixierungsmaßnahme an, so muss diese nicht nur durch das Amtsgericht für einen begrenzten Zeitraum genehmigt werden, sondern es müssen zugleich sogenannte Verfahrenspfleger eingesetzt werden, also pflegerisch geschulte Personen, die als Anwalt des Betroffenen auftreten und mit dem Heim, den Angehörigen und den Betreuern Alternativen zur Fixierungsmaßnahme suchen“, erklärt Waltraud Hermann, Leiterin des Sachgebiets Behindertenhilfe & Betreuung des Landratsamts. Der entscheidende Unterschied zum normalen rechtlicher Betreuer ist bei diesem Modell vor allem, dass der Verfahrenspfleger in jedem Fall die Interessen des Betroffenen vertritt, während die Interessen des Betreuers und des Patienten nicht immer deckungsgleich sind – meist zu Ungunsten des Hilfsbedürftigen. So garantiert der „Werdenfelser Weg“, dass Gerichte fundiert und im Sinne des Betroffenen über freiheitsentziehende Maßnahmen entscheiden können. Dieses Modell könne jedoch nur funktionieren, wenn die Pflegeeinrichtungen personell und materiell hinreichend ausgestattet seien. „Es muss ein Bewusstsein bei allen Beteiligten und in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung dafür entstehen, was menschenwürdige Pflege ausmacht, denn letztlich betrifft diese Frage alle von uns einmal“, fordert Hermann.
 
Gabriele Klein, Richterin am Amtsgericht Schopfheim klärte in ihrem Vortrag über die rechtlichen Grundlagen von Fixierungsmaßnahmen auf, plädierte jedoch ebenso für eine drastische Reduzierung dieser Maßnahmen: „Unser gemeinsames Ziel sollte sein, die rund 500 Fixierungen im Landkreis auf vielleicht 50 zu reduzieren.“ Keiner der Anwesenden aus dem Pflegedienst, so wird immer wieder klar, geht leichtfertig mit der Fixierungspraxis um. Vielmehr, so der allgemeine Tenor, sei es häufig ein Zeichen von Überforderung des Pflegepersonals, das aus Personal- und Zeitmangel nicht in der Lage ist, jedem einzelnen Heimbewohner die komplette Aufmerksamkeit zu widmen, die dieser verdiene und benötige.
 
Anschließend stellte Brigitte Hanske, Einrichtungsleiterin des Emilienparks, das Pflegekonzept der „Validation“ vor. Dabei handelt es sich um einen wertschätzenden Pflegeansatz, der die Menschen in ihrer Demenzerkrankung akzeptiert und sie in ihrer eigenen Welt leben lässt, anstatt zu versuchen, die Betroffenen permanent mit ihren Fehlern zu konfrontieren und sie dadurch zu verunsichern. Fixierungsmaßnahmen bei demenzkranken Patienten könnten so eindeutig verringert werden.
 
Zunächst sei jedoch ein erster wichtiger Schritt, so Hermann, überhaupt die Gesamtheit der Fixierungsmaßnahmen im Landkreis statistisch genau zu erfassen. Das sei in der Vergangenheit nicht ausreichend geschehen, aber allein schon deshalb wichtig, um den Handlungsbedarf zu verdeutlichen. Die Erfahrungen, die andere Kreise mit dem Werdenfelser Weg erreicht haben, seien jedenfalls ermutigend. Hier sei die richtige Richtung eingeschlagen, die Pflegesituation auch unter dem Druck des demografischen Wandels menschenwürdig zu gestalten.